Leitung der Gemeinde

Was bedeutet Leitung in einer evangelischen Kirchengemeinde?

Der dreieinige Gott leitet seine Gemeinde durch den Heiligen Geist. Dazu beruft er Menschen zur Mitverantwortung. Es geht also in der Gemeinde nicht nur heilig, sondern auch menschlich zu. Organisatorische Leitungsaufgaben prägen den Alltag: Veranstaltungen sind vorzubereiten, Termine zu verabreden, die Arbeit aufzuteilen. Andererseits ist es nötig, weitgehende Leitung, oft Führung genannt, wahrzunehmen, d.h. sich immer wieder am Auftrag Gottes zu orientieren und zu fragen: Verkündet die Gemeinde das Evangelium und sammelt sie Menschen (Art. 8 GO; Augsburger Bekenntnis Art. VII), die mitbauen an der Kirche Jesu Christi und an Gottes Reich?

Wer muß leiten?

Die ganze Leitungsverantwortung in einer Kirchengemeinde obliegt dem Gemeindekirchenrat (Art. 15 GO). Die Mitglieder der Kirchengemeinde haben an der Leitung der Kirchengemeinde teil, auch indem sie die Arbeit des Gemeindekirchenrates kritisch begleiten (Art. 13 Abs. 2 GO). Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Verkündigungsdienst tragen eine besondere Verantwortung für die schriftgemäße Verkündigung des Evangeliums (Art. 15 Abs. 2 GO), die seelsorgerische Begleitung der Gemeindeglieder und den gelebten Glauben. Aber sie stärken mit ihrer Kompetenz und ihrem Einfluss auch die theologische Leitung der Anderen im GKR und in der ganzen Gemeinde. Letztlich ist jedes Gemeindeglied dazu berufen, über die schriftgemäße Predigt zu urteilen, nach dem wahren Weg der Kirche zu suchen und ein vom Glauben geprägtes Leben zu führen.

Wer darf leiten?

Der Gemeindekirchenrat kann Beauftragungen aussprechen und in einer Ordnung Aufgaben, Verantwortlichkeiten und die Zusammenarbeit regeln (Art. 25 GO). Die ganze Gemeinde sollte darüber und über die Arbeitsergebnisse regelmäßig informiert werden. Der Personalbereich, die Bauangelegenheiten, die Finanzen, die Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen und vieles mehr können als Auftrag auf Zeit an geeignete Gemeindeglieder vergeben werden.

Wer leitet tatsächlich?

Der Einfluß der verschiedenen Menschen in einer Gemeinde ist unterschiedlich groß. Ein Amt oder eine Beauftragung spielen eine große Rolle, auch fachliches Wissen ist wichtig. Meist wird von den Hauptamtlichen, vor allem von Pfarrerinnen und Pfarrern, Führungskompetenz erwartet. Aber auch Ehrenamtliche mit großer persönlicher Autorität können diese Verantwortung wahrnehmen. Das Alter, private und berufliche Erfolge, bisherige Verdienste für die Gemeinde, persönliche Ausstrahlung, Ortsansässigkeit der Vorfahren, Hilfsbereitschaft und anderes mehr bewirken, dass das Wort einiger Menschen ein besonderes Gewicht hat. Sie alle in eine gemeinsame geschwisterliche Leitungsverantwortung einzubinden, ist eine große Aufgabe.

Wer soll leiten?

Im Idealfall leiten die durch Amt oder Auftrag dazu Berufenen und beziehen möglichst viele andere Gemeindeglieder dabei ein. Der Gemeindekirchenrat tut gut daran, ehrlich über die tatsächliche Leitungssituation in der Gemeinde nachzudenken. Die Personen mit besonders großem Einfluss sollten offiziell, erkennbar und begrenzt Leitungsverantwortung übertragen bekommen. Aber auch neue Verantwortliche sind immer wieder zu suchen und zu fördern. In großen Gemeinden bedarf es regelmäßiger Dienstbesprechungen. Gemeindebeirat und Gemeindeversammlung sind wichtige Instrumente der Willensbildung. Schwierig zu beteiligen sind vor allem in der Großstadt die nicht am Gemeindeleben im engeren Sinne teilnehmenden Gemeindemitglieder (Art. 13 Abs. 2 GO). Vielleicht helfen hier Meinungsumfragen wie der EKD-Studien weiter.

Berufliche Stellen werden in der Regel nach einem kreiskirchlichen Sollstellenplan begründet und besetzt (…). In manchen Gemeinden wird nur noch der pastorale Dienst beruflich wahrgenommen. Die Pfarrerin und der Pfarrer, die die „Leitung durch das Wort“ wahrnehmen, unterstehen der Dienstaufsicht des Superintendenten und des Konsistoriums (…). Dennoch ist es sinnvoll, wenn auch der Gemeindekirchenrat mit ihr oder ihm eine Vereinbarung trifft. Hierfür gibt es das Leitbild „Pfarrerin und Pfarrer als Beruf“ und eine Musterdienstvereinbarung. Auch die Zielvereinbarungen, die zwischen der Superintendendin oder dem Superintendenten und der Pfarrerin oder dem Pfarrer im Orientierungsgespräch getroffen werden, können für die Gemeindeleitung wichtig sein und sollten dem Gemeindekirchenrat zur Kenntnis gegeben werden.

In vielen Gemeinden gibt es noch weitere berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie unterliegen der Dienstaufsicht des Gemeindekirchenrates, in den sie berufen werden können (Art. 18 Abs. 2 GO). In der verfassten Kirche gilt der Kirchliche Tarifvertrag (KMT) und das Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG). Die Mitarbeitervertretung sollte über ihr Mitwirkungsrecht hinaus am Zielfindungsprozess der Gemeindeleitung beteiligt werden. Arbeitsplatzbeschreibungen, jährliche Mitarbeitergespräche einschließlich der Zielvereinbarungen und der Verabredung eines Führungsstils können motivierend wirken. Ihre Hauptaufgaben sollten die beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin sehen, Ehrenamtliche für ihr Arbeitsgebiet zu gewinnen und zu begleiten und fortzubilden.

Welche Pflichten und Rechte haben ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Gemeindeleitung?

Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten grundsätzlich ebenso in die Leitungsverantwortung eingebunden sein wie die beruflichen: mit klaren Zuständigkeiten und deren Grenzen. Eine ordentliche Einführung und Ausführung ist wichtig. Ehrenamtliche nehmen an Dienstbesprechungen teil, bilden sich fort und werden in ihrem Dienst begleitet. Erfahrene Ehrenamtliche gewinnen neue Ehrenamtliche und begleiten und leiten sie an.

Wie wird geführt und geleitet?

Nur wer Menschen Respekt, Achtung Wertschätzung entgegenbringt und sie in Freiheit mit all ihrer Verschiedenheit einbezieht, kann sie anleiten und führen. Ein durch faire Gespräche geprägter kooperativer Führungsstil, ist einer evangelischen Kirchengemeinde angemessen. Dazu bedarf es offizieller Kommunikationsformen. Regelmäßige Besprechungen mit festen Zeiten, klaren Regeln und kurzen Protokollen sind durch nicht zu ersetzen. Informelle Gespräche zwischen Tür und Angel bedürfen stets der Rückbindung an die institutionalisierte Kommunikation.

Wie wird Leitung in einer Gemeinde überprüft?

Leitung muss immer wieder überprüft werden. Das ist innerhalb der Kirche eher ungewohnt, auch schwierig, aber doch nötig. Ohne Erfolgskontrolle lassen sich Ziele nicht wirkungsvoll verfolgen. Grobziele und Feinziele können zunächst definiert und mit einer Zeitschiene verbunden werden. Alle wichtigen Daten, von der EKD-Statistik, der Gemeindegliederentwicklung und dem Spendenaufkommen bis hin zur Befragung der aktiven und passiven Mitglieder und sogar der Wohnbevölkerung sollten vergleichbar aufbereitet und im Abstand von ein bis drei Jahren analysiert werden. Eine Rüstzeit des Gemeindekirchenrates, aber auch regelmäßige Gemeindevisitationen sind gute Gelegenheiten, die Wirksamkeit der Gemeindeleitung auf den Prüfstand zu stellen. Neue Arbeitsgebiete können von vornherein als befristete Projekte mit festgelegten Berichtszeiträumen erschlossen werden.

Wie kann die Gemeinde der Zukunft heute gebaut werden?

Oft ist es hilfreich, Visionen zu formulieren und ein Leitbild zu erarbeiten. Eine Aufzählung aller guten Absichten reicht aber nicht aus. Vielmehr bedarf es des Zusammenhanges von Zielen, Ressourcen und Zukunftsfähigkeit. Zur Orientierung mögen die folgenden Fragen dienen: Wie viel Kraft steht der Gemeinde zur Verfügung? Wer ist bereit, wie viel Zeit, Ideen und Gedanken einzubringen? Sind auch die Menschen einbezogen die uns noch immer unterstützen, ohne sich darüber hinaus am Gemeindeleben zu beteiligen? Wie viel Geld kann eine Gemeinde erwarten und wie viel zusätzlich erwirtschaften? Welche Gebäude braucht eine Gemeinde auch künftig und von welchen sollte sie sich trennen? Was ist wichtig und was ist weniger wichtig, an diesem Ort, in dieser Zeit? Verfolgen die Leitenden in einer Gemeinde noch immer die gleichen Ziele? Sind sie einen Schritt weiter gekommen in der überschaubaren Zeit, in die richtige Richtung? Ist die Kirche, die wir leben, die Kirche, die wir bauen wollen?

Es ist sinnvoll, in der Leitungsverantwortung über die Gemeindegrenze hinaus zu denken. In der Kooperation im Kirchenkreis gilt es Schwerpunkte zu bilden, stellvertretend zu handeln und Kirche zukunftsfähig zu bauen.

© Roland Herpich, Handbuch für den Gemeindekirchenrat